Wie liest du FEAR? Über zwei Arten mit Angst umzugehen
Die Angst lebt am liebsten im Dunklen. Da wo wir sie nicht sehen und verstehen können. Wenn wir zu cool oder zu busy sind unsere Ängste wahrzunehmen, dann lebt sie glücklich in unserem Körper, sammelt täglich Futter und sucht sich passende Kanäle, um sich zu zeigen. Das können Stress, Wut, Agression oder Depression sein.
Wer FEAR als Akronym liest, könnte darunter zwei Abkürzungen verstehen: Forget Everything And Run oder Face Everything And Rise. Zu den konkreten Inhalten davon später mehr – wenn du aber alleine diese beiden Abkürzungen liest, welches Schema erkennst du spontan häufiger in deinem Umfeld? Welches bei dir selbst?
Durch die Covid-Pandemie sind wir alle mit Angst konfrontiert, beide Schemata begegnen uns wohl in unserem Umfeld. Denn wir hören seit Monaten schlechte Nachrichten und leben ständig in einer Ungewissheit, die von den Medien genährt wird. Nicht wenige begegnen der Ungewissheit mit „Wir müssen diszipliniert bleiben.“, „Cool bleiben.“ oder „Mir geht’s ja gut, andere haben ihren Job schon verloren.“ Deswegen warnt der Münchner Arzt Dr. Martin Marianowicz in einem Interview: „Angst ist unser Hauptproblem, nicht das Virus.“
Bevor ich das Akronym FEAR im Detail erkläre, ein Disclaimer: Ich will weder die Angst auf den Thron setzen, noch zum Versuch anregen, die Angst an sich loszuwerden. Mir geht es um eine Anregung zu einem achtsamen und hilfreichen Umgang mit Angst. Denn die Angst an sich bekommen wir nicht weg – nicht mit knallharter Disziplin, Coaching, Therapie und der Flucht in Ablenkung oder Drogen. Angst ist eine Emotion, die in unserem Gehirn schnell getriggert wird. Dafür sorgt die neuronale Autobahn der Amygdala.
Um die verschiedenen Akronyme besser zu verstehen, zoomen wir einmal in eine Situation hinein, die viele Führungskräfte, Coaches und Projektmanager schon mehrfach erlebt haben. Es findet von heute auf morgen ein Wechsel im Führungskreis statt, ein beliebter Kollege geht, jemand Neues übernimmt und Aufgaben sollen neu verteilt werden. Vielleicht sind Gedanken, die uns die Angst denken lässt: Mit welcher Absicht kommt die neue Person? Wird sie Bestehendes würdigen oder abwerten und meine eigenen Werte teilen? Welchen (geheimen) Auftrag hat sie vielleicht wiederum von ihrem Chef bekommen? Welche Bedeutung hat das für die eigenen Lieblingsprojekte?
Esther und Johannes Nareshuber stellen im Buch Mindful Leader (O.W.Barth-Verlag, 2019) zwei Arten des Umgangs mit Angst vor. Aus der Übersetzung FEAR lassen sich die zwei beschriebenen Akronyme machen. Beginnen wir mit dem weniger achtsamen:
Forget Everything And Run
„Run“ steht stellvertretend für die typischen Angstinstinkte „fight, flight or freeze“. Kaum einer wird sie sprichwörtlich ausüben und aus dem Gebäude rennen. Eine fight-Antwort auf die beängstigenden Impulse kann sich nach innen oder außen richten. Nach außen gerichtet äußert sich der fight-Modus oft in Wut, Diskussionen und Streit.
Nach innen gerichtet zeigt sich der fight-Modus in unseren Glaubenssätzen, z.B.: „Ich kann das nicht ansprechen, weil ich souverän und stark sein muss.“, „Ich darf mich damit nicht aufhalten, es gibt Wichtigeres zu tun.“ Oder „Wenn ich meine Sorgen teile, stehe ich dämlich vor den Anderen da.“ Und was bewirken diese Glaubenssätze?
Sie lösen Gedankenkreise aus, der innere Widerstand wächst und die Angst steuert uns „von hinten“. Dazu kommt oft die Angst, nicht mit dem umgehen zu können, was sich dahinter zeigen könnte, wenn wir uns unsere Angst eingestehen. Dass sie nicht verschwindet, wenn wir sie akzeptieren und annehmen – die berüchtigte „ Angst vor der Angst“. Und darunter zu leiden ist nicht schön.
In dieser Situation steigert der Widerstand gegen die Angst meist das Leiden. Die Formel „Leiden = Schmerz x Widerstand“ zeigt, dass wir durch den Widerstand der Glaubenssätze umso mehr leiden. Wir stemmen uns gegen Unvermeidliches, wollen nicht akzeptieren was los ist und verschlimmern damit die Lage. Denn wenn der Widerstand groß ist, halten wir ihn oft für den Schmerz und es fällt uns schwer Schmerz und Leiden noch auseinanderzuhalten. Ein richtiger Teufelskreis.
Face Everything And Rise
Face everything“ hat eine wichtige Voraussetzung. Die innere Bereitschaft, die Angst anzunehmen oder sich ihr wenigstens zu stellen. Mut heißt der Angst ins Gesicht zu sehen. Oft verliert die Angst einen Großteil ihrer Macht, wenn wir sie benennen können und wissen, wovor wir eigentlich Angst haben. So wie Rumpelstilzchen im Märchen „Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß… “. Erst dann gelingt es uns wieder uns zu erinnern: Angst ist eine natürliche Emotion.
Unsere Gedanken und Glaubenssätze sind eben häufig nicht besonders gut darin Angst als das zu erkennen, was sie ist. Unser Körper ist allerdings ein verlässliches Instrument.
„Rise“ heißt an der Angst zu wachsen. Etwas über sich (und andere) zu lernen. Zu entdecken, dass Gefühle in ihrer Intensität abnehmen, wenn wir sie nicht befeuern. Und ein Vertrauen darin zu entwickeln, dass jeder wilde Tango der Emotionen vorüber geht.
„Rise“ heißt auch zu erkennen was uns wichtig ist, was wir brauchen und was andere brauchen. Dadurch entstehen oft neue Ideen, die hilfreicher sind als diejenigen Ideen, die durch Widerstand geboren sind.
Du willst wissen was hinter der „neuronalen Autobahn der Amygdala“ steckt oder lernen besser deinen Körper einzusetzen, um Emotionen wie Angst oder Wut zu erkennen und zu regulieren? Dann interessiert dich vielleicht unser Achtsamkeitsseminar „Mindful Presence“ (https://bit.ly/3lsfs7b) Und psst.: Wir werden in dem Seminar nicht Angst über schlechte Nachrichten zu Covid breittreten. Aber eigene Fälle wie oben, die du einbringst, sind willkommen.