Mythos 3: „Es geht darum die Mitarbeiter effizienter und belastbarer zu machen und mehr aus ihnen herauszuholen“

Mythos Optimierung

"Es geht darum die Mitarbeiter mit Mindfulness effizienter und belastbarer zu machen und mehr aus ihnen herauszuholen"

Gestärkte Resilienz, Empathie und Kreativität sind nicht der ultimative Zweck von Mindfulness, den es auszunutzen gilt. Nicht Optimierung zählt, sondern die Haltung.

Es geht nicht um Optimierung.

Ab und zu höre ich in Gesprächen folgende Kritik an Mindfulness-Programmen in Organisationen „Google und Co haben mit ihren Achtsamkeitsprogrammen doch nur ein Ziel: Optimierung! Wenn Mitarbeiter gesünder, zufriedener und belastbarer sind, arbeiten sie noch mehr.“ Dieser Mythos wurde am dritthäufigsten in meiner Umfrage genannt.

Der Gedankengang macht auf den ersten Blick Sinn. Doch er entfremdet die Achtsamkeit von dem, wofür sie eigentlich da ist. Zum Glück sehen das auch Unternehmen wie SAP so. Im Kontext der Corona-Pandemie sagt Personalleiter Cawa Younosi zu achtsamkeitsbasierten Initiativen bei SAP „Es geht nicht darum, Menschen zu optimieren, sondern dass sie sich mental gesund fühlen.“

Damit spricht er mir aus dem Herzen. Wohlwollen und ein gesundes Unterscheidungsvermögen sollten am Anfang von Mindfulness-Initiativen stehen. Aus dieser Haltung heraus ergeben sich hilfreiche Reaktionen, zum Beispiel im Umgang mit der mentalen Gesundheit während der Corona-Pandemie bei SAP .

Wissenschaftlich erforscht: Mindfulness hat positive Effekte für Teams. Und macht Individuen belastbarer.

Fakt ist, dass Google, SAP und Goldmann Sachs als prominente Vertreter sich die Mindfulness-Initiativen nicht nur betriebswirtschaftlich gut überlegt haben, sondern auch auf Studien schauen. Die zeigen unter anderem:

Wie kommt es das Mindfulness Menschen außerdem belastbarer macht? Vereinfacht gesagt: Wer durch Achtsamkeitsübungen wie beispielsweise dem Body Scan seine Wahrnehmung schult, kann feiner und klarer spüren welche Gefühle und Empfindungen sich im Körper ausdrücken. Das ist ein Schlüssel um sich selbst zu regulieren, wenn man eine starke geistige Belastung oder Emotionen wie Wut, Kränkung oder Angst erlebt **. Und diese Selbstregulation führt zu mehr psychischer Widerstandsfähigkeit.

Die positiven Effekte auszunutzen ist wie mit einem Hammer ein Kunstwerk zu zerstören. Die Haltung zählt.

Um angesichts komplexer Herausforderungen gesund zu bleiben, hilft Resilienz. Eine Sorge von Betriebsräten und Mitarbeitern ist, dass genau dieser Umstand ausgenutzt wird. Beispielsweise in solchen Gedankengängen  „Mein Mitarbeiter ist durch Mindfulness resilient, er wird schon ein weiteres Projekt vertragen / wird schon mit Stress im Home Office gut zurecht kommen / …“

Ist Mindfulness deshalb gefährlich? Lädt es dazu ein von gierigen Firmen ausgenutzt zu werden? Ich denke und erlebe, dass diese Schlussfolgerung oft zu kurz greift. Fakt ist, dass Mindfulness viele positive Effekte für die Persönlichkeits- und Teamentwicklung hat. Die positiven Effekte auszunutzen, wäre jedoch so wie mit einen Hammer ein Kunstwerk zu zerstören anstatt es aufzuhängen. Wer kritisiert Hämmer?

Der Zweck von Mindfulness ist es ganz und gar im Leben präsent zu sein und jedem Augenblick mit Wohlwollen und gesundem Unterscheidungsvermögen zu begegnen. Es kommt also auf die Haltung an, ob wir Gutes oder Schaden bewirken. Ganzheitliche Mindfulness-Trainings bieten deswegen Raum zum Reflektieren der eigenen Haltung und Werte. Was die meisten Kritiker von Mindfulness missachten ist, dass ein Mensch, der beginnt achtsamer und bewusster mit sich selbst zu sein, in der Konsequenz auch achtsame Entscheidungen trifft. Er erkennt ungesunde Situationen schneller und trifft entsprechende Entscheidungen für sich und andere. Daher wächst die Gesamtwahrnehmung und nicht nur das Ausbeutungspotential.

 

Mit der entsprechenden Haltung, stellt SAP übrigens zurückblickend fest: „Wenn es unseren Mitarbeitern gut geht, dann sind sie für den Job auch 100 Prozent da.“

Wer Mindfulness im Unternehmenskontext einführt, sollte Zweck und Effekte nicht verwechseln. Sonst kann er langfristig schaden.

Ja, mein Weg war anfangs auch geprägt von der Absicht die positiven Effekte von Mindfulness für gesteigerte Leistungen zu nutzen. Ich weiß von vielen Menschen, die heute Trainer und Ausbilder sind, dass das für den Einstieg ganz normal ist. Wer Mindfulness in Firmen einbringt, sollte sich jedoch bewusst sein welche Mechanismen rundum die positiven Effekte mitwirken. Denn vorhandene Muster der Selbstoptimierung- und Selbstausbeutung in Teams und bei Einzelpersonen können langfristig schaden. Zwei Beispiele dazu:

Beispiel 1: Wer von Unternehmensseite darauf hingewiesen wird und für sich erkannt hat, dass er durch Meditation konzentrierter arbeiten kann, könnte versuchen das immer gezielter für sich einzusetzen. Als Konsequenz wird er vielleicht Pausen ganz zielgerichtet setzen, für Meditation nutzen und vielleicht auch seine Arbeitsrhythmen komplett auf optimale Zeiten im eigenen Bio-Rhythmus anpassen. Ein Beispiel ist der  Manager, der um 5:00 aufsteht, um im Büro ungestört zu arbeiten. Wer Mindfulness nur für diesen Zweck nutzt, kann bei aller Leistungsorientierung leicht das Leben selbst vergessen und hat weniger „quality time“ für sich selbst und die Menschen, die ihm lieb sind. Ich kenne manche, die so Erfolg nach Erfolg erreichen – ohne dabei langfristig zufriedener zu werden. Es zählt eine Haltung des Wohlwollen mit sich selbst, die einlädt sich selbst genug zu sein und gesunde Unterscheidungen zu treffen was einem wichtig ist.

Beispiel 2: Weil empathische Kommunikation zu den wichtigsten Kompetenzen im digitalen Zeitalter zählt ***, liegt es für Unternehmen nahe die Zusammenarbeit in Teams mit Empathie-Übungen stärken zu wollen. Wer bereits das innere Muster hat mehr und freundlicher für andere da zu sein als für sich selbst, kann durch Empathie gefährdet sein. Denn für das Leid von Kollegen und Kunden dazu sein, geht mit emotionalen Kosten einher. Wer sich dabei selbst vergisst, kann in einen „Burn-Out“ geraten. Hier ist schön beschrieben woher das kommt. Es ist deswegen so wichtig, dass man den Zweck von Mindfulness nicht vergisst, der darin besteht jedem Augenblick mit Wohlwollen und gesundem Unterscheidungsvermögen zu begegnen. Er enthält eben auch das Wohlwollen mit sich selbst. Und genau das kann Gefährdete schützen – Kurse wie Mindful Self-Compassion sind u.a. dafür etabliert. Self-Compassion hilft Teammitgliedern langfristig gut füreinander da zu sein.

Ein gelassener Ausblick

Jon Kabat-Zinn hat mich in diesem Video beeindruckt, wie gelassen er zur Instrumentalisierung von Achtsamkeit für wirtschaftliche Zwecke sagt, dass er ihr mit Vertrauen gegenüber steht. Schließlich hat er schon viele Menschen gesehen, die sich in der bloßen Übung von Achtsamkeit für Zwecke der Optimierung schnell gelangweilt haben und dadurch erst recht gespürt haben, dass ihrer Übung ein sinngebender Boden fehlt. Dieser sinngebende Boden ist die ethische Haltung der Achtsamkeit – der Anspruch Wohlbefinden zu vergrößern und Leiden zu reduzieren. Die natürliche Sehnsucht nach diesem Boden hat laut seiner Erfahrung schon vielfach zu einem Umdenken geführt.

Viele Menschen und dazu gehöre auch ich, beginnen dann sorgfältiger und lockerer eine Unterscheidung zu treffen, ob ihnen ihre von Eigeninteresse geprägten Wünsche gut tun oder nicht. Sie entdecken, dass ein blindes Mehr-Haben-Wollen ihnen selbst innerlich mehr Leiden als Freude bringen.

 

Auch wenn diese Reflexion nicht überall stattfindet, warum sollten wir also nicht auf eine große Veränderung von innen heraus hoffen? Vor 30 Jahren war Achtsamkeit im Westen kaum verbreitet. Heute gibt es Achtsamkeitsverbände, tausende Forschungsprojekte und Krankenkasse bezuschussen Achtsamkeitskurse. Warum sollte Achtsamkeit nicht die Wirtschaftswelt grundsätzlich verändern wo sie heute schon mit Gemeinwohlökonomie und New Work viel Bewegung erlebt?

*) https://hbr-org.cdn.ampproject.org/c/s/hbr.org/amp/2019/01/how-mindfulness-can-help-engineers-solve-problems

**) siehe u.a. Studien von Britta Hölzel

***) Metaanalyse des Instituts für Führungskultur im
digitalen Zeitalter