Die Kunst achtsam Nein zu sagen​

Achtsam-Nein-Sagen

Die Kunst achtsam Nein zu sagen​

Kennst du Verhaltensreaktionen, die uns schaden ohne dass wir es bemerken? Zum Beispiel wenn wir uns ablenken, um unangenehme Erfahrungen wegzudrücken und uns in social media wie LinkedIn flüchten. Und dann am Ende des Tages verwundert merken, dass wir nicht geschafft haben was wir wollten oder nicht mit Mitmenschen verbunden waren wie wir wollten und unzufrieden sind.

Eine wohlwollende Einladung zum kurzen Reality-Check: Liest du gerade, weil du etwas erreichen willst was dir am Herzen liegt oder lenkst du dich gerade ab? Falls letzteres zutrifft, welcome to normality! Das geht uns auf die eine oder andere Art allen so. Es hat damit zu tun, dass wir Automatismen haben, die wir selbst nicht wahrnehmen.

Doch woher kommen die Automatismen? Sie kommen aus all unseren Erfahrungen, die wir machen, besonders prägend sind die aus der Kindheit. Unser Gehirn ist darauf ausgelegt durch Automatismen Komplexität aus dem Alltag zu nehmen. Für manche Situationen wie den Blinker-Setzen im Auto sind die neuronale Autobahnen hilfreich, weil sie wenig Energie benötigen.

Aber: Bei den Themen, die uns mit unserer Persönlichkeit angehen, können sie uns im Weg stehen. Ein Beispiel: Vor einer ganzen Weile hat mich einer der Geschäftsführer kurzfristig um eine Videokonferenz gebeten. Um 17:00 ohne Betreff oder Nennung von Ziel und Agenda. Und ich hab nach kurzem Stutzen „Jetzt zusagen“ geklickt. Im nächsten Moment war schon ein unangenehmes Gefühl und das schlechte Gewissen da. Ich wollte einmal früher in einen entspannten Abend mit meiner Partnerin starten.

Welche Verhaltensmuster haben zugeschlagen, dass ich automatisch nur eine Entweder-Oder-Entscheidung gesehen habe? Wo war in dem Moment mein freier Wille?

Zwischen Reiz und Reaktion liegen unsere Werte

„Zwischen Reiz und Reaktion gibt es einen Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit“ schreibt Viktor Frankl. Doch in den Raum mal etwas reingezoomt: Was dirigiert unsere freie Entscheidung und wann fühlt sie sich gut an?

Sie fühlt sich gut an, wenn sie uns unbewusst an Situationen erinnert, die mit positiven Empfindungen und Emotionen verknüpft waren. Wenn sie im Einklang mit unseren Werten ist.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich durch Achtsamkeitsübungen unangenehme Gefühle deutlicher erkenne. Außerdem bin ich mir noch klarer über meine Werte geworden. Die Lösung einer belastenden Situation liegt meist darin, dass ich Wertekonflikte wahrnehme. Heute merke ich in Situationen wie oben, dass ich sowohl den Wert Anerkennung (gegenüber dem Geschäftsführer) als auch den Wert Verbindlichkeit (gegenüber der Partnerin) in mir trage. Von diesem Wertekonflikt lass ich mich heute selten in automatische Reaktion treiben, sondern sortiere gelassen meine Möglichkeiten. Zum Beispiel in dem ich zweimal durchatme, meine Partnerin frage, ob wir eine Stunde später in den Park gehen und ihr vielleicht Blumen mitbringe oder den Geschäftsführer um einen anderen Termin oder die Nennung seiner Ziele bitte.

Denn: Wir können Wertekonflikte nicht grundsätzlich vermeiden. Doch wenn wir dauerhaft einen Wert von uns unterdrücken, dann verletzen wir zuerst uns, dann unsere Partnerin und langfristig auch unseren Chef. Weil wir mit schlechtem Gefühl weder 100% bei der einen Sache, noch bei der anderen sein können. Mit Achtsamkeit können wir Moment für Moment entscheiden, wo wir mit unseren 100% sein wollen.

Kein Achtsamkeitstraining ohne Wohlwollen

Zwei Flügel der Achtsamkeit

Kein Achtsamkeitstraining ohne Wohlwollen

Ein Vogel braucht zwei Flügel um fliegen zu können. Wenn wir Achtsamkeit üben, brauchen wir auch zwei Flügel:

Der eine Flügel ist der „abkühlende“ Flügel der Achtsamkeit, die einfach nur unsere Erfahrung beobachtet. Bleiben wir nah an der Beobachtung, so nehmen Emotionen, Bedenken und andere starke Gedanken oder Körperempfindungen in ihrer Intensität meistens ab. Die Hitze des Augenblicks geht vorüber. Mit dem Flügel der Achtsamkeit entwickeln wir die Fähigkeit, ohne Urteile zu beoachten und die Dinge so sein zu lassen, wie sie bereits sind.

Der andere Flügel ist Wohlwollen. Mit diesem Flügel fördern wir eine freundliche und mitfühlende Haltung gegenüber dem, was geschieht.

Ohne den jeweils anderen Flügel würden wir aus der Balance geraten: Ohne Wohlwollen, wird die beobachtende Achtsamkeit kalt und distanziert. Und das Mitgefühl, dem ein Beobachten der Dinge, wie sie wirklich sind, fehlt, kann unausgewogen nachgiebig und unangemessen sentimental werden.

Wozu ist das wichtig?

Wir können Achtsamkeit und liebevolles Wohlwollen natürlich getrennt von
einander üben. Aber trainiert ein junger Vogel seine Flügel einzeln, um
fliegen zu lernen? Nein natürlich nicht. Wichtig ist, dass wir die Kombination aus beidem nutzen.
 
1.) Wenn Selbstmitgefühl und Achtsamkeit vorhanden sind, dann erkennen wir nicht nur wo wir Widerstände haben, bei denen es gut für uns wäre sie loszulassen. Sondern wir nehmen auch wahr was wir gerade brauchen. Anstatt bloß wahrzunehmen was ist, erkennen wir hillfreiche Verhaltensweisen, die in Einklang mit unseren Bedürfnissen stehen.
2.) Wenn Mitgefühl mit anderen und Achtsamkeit vorhanden sind, spüren wir die Motivation den anderen nicht nur seiner Eigenverantwortung zu überlassen, sondern sind motiviert das Leiden des anderen durch unser Handeln zu lindern.
 
Deswegen erhält die Ethik der Achtsamkeit nur mit beiden Flügeln Ausdruck. Sie besagt, dass es ethisch ist Wohlbefinden zu vergrößern und Leiden zu verringern. Das führt uns dazu, dass wir nicht nur die Symptome von Leiden angehen, sondern auch die Ursachen. Mit beiden Flügeln vergessen wir nicht, dass das Menschsein natürliche Bedürfnisse wie Sicherheit, Zugehörigkeit, Verbindlichkeit, Fairness, Autonomie, etc. mit sich bringt. Wenn vorhandene Strukturen nicht mit dem natürlichen Menschsein zusammenpassen, ist es oft achtsamer die Strukturen anzupassen als sich die eigenen Bedürfnisse wegzumeditieren.
 
Deshalb geht es im Training der Achtsamkeit immer darum beide Flügel zu trainieren.

Wie liest du FEAR? Über zwei Arten mit Angst umzugehen

Wie-liest-du-FEAR?

Wie liest du FEAR? Über zwei Arten mit Angst umzugehen

Die Angst lebt am liebsten im Dunklen. Da wo wir sie nicht sehen und verstehen können. Wenn wir zu cool oder zu busy sind unsere Ängste wahrzunehmen, dann lebt sie glücklich in unserem Körper, sammelt täglich Futter und sucht sich passende Kanäle, um sich zu zeigen. Das können Stress, Wut, Agression oder Depression sein.

Wer FEAR als Akronym liest, könnte darunter zwei Abkürzungen verstehen: Forget Everything And Run oder Face Everything And Rise. Zu den konkreten Inhalten davon später mehr – wenn du aber alleine diese beiden Abkürzungen liest, welches Schema erkennst du spontan häufiger in deinem Umfeld? Welches bei dir selbst?

Durch die Covid-Pandemie sind wir alle mit Angst konfrontiert, beide Schemata begegnen uns wohl in unserem Umfeld. Denn wir hören seit Monaten schlechte Nachrichten und leben ständig in einer Ungewissheit, die von den Medien genährt wird. Nicht wenige begegnen der Ungewissheit mit „Wir müssen diszipliniert bleiben.“, „Cool bleiben.“ oder „Mir geht’s ja gut, andere haben ihren Job schon verloren.“ Deswegen warnt der Münchner Arzt Dr. Martin Marianowicz in einem Interview: „Angst ist unser Hauptproblem, nicht das Virus.“ 

Bevor ich das Akronym FEAR im Detail erkläre, ein Disclaimer: Ich will weder die Angst auf den Thron setzen, noch zum Versuch anregen, die Angst an sich loszuwerden. Mir geht es um eine Anregung zu einem achtsamen und hilfreichen Umgang mit Angst. Denn die Angst an sich bekommen wir nicht weg – nicht mit knallharter Disziplin, Coaching, Therapie und der Flucht in Ablenkung oder Drogen. Angst ist eine Emotion, die in unserem Gehirn schnell getriggert wird. Dafür sorgt die neuronale Autobahn der Amygdala.

Um die verschiedenen Akronyme besser zu verstehen, zoomen wir einmal in eine Situation hinein, die viele Führungskräfte, Coaches und Projektmanager schon mehrfach erlebt haben. Es findet von heute auf morgen ein Wechsel im Führungskreis statt, ein beliebter Kollege geht, jemand Neues übernimmt und Aufgaben sollen neu verteilt werden. Vielleicht sind Gedanken, die uns die Angst denken lässt: Mit welcher Absicht kommt die neue Person? Wird sie Bestehendes würdigen oder abwerten und meine eigenen Werte teilen? Welchen (geheimen) Auftrag hat sie vielleicht wiederum von ihrem Chef bekommen? Welche Bedeutung hat das für die eigenen Lieblingsprojekte?

Esther und Johannes Nareshuber stellen im Buch Mindful Leader (O.W.Barth-Verlag, 2019) zwei Arten des Umgangs mit Angst vor. Aus der Übersetzung FEAR lassen sich die zwei beschriebenen Akronyme machen. Beginnen wir mit dem weniger achtsamen:

Forget Everything And Run

Mindful Leader

„Run“ steht stellvertretend für die typischen Angstinstinkte „fight, flight or freeze“. Kaum einer wird sie sprichwörtlich ausüben und aus dem Gebäude rennen. Eine fight-Antwort auf die beängstigenden Impulse kann sich nach innen oder außen richten. Nach außen gerichtet äußert sich der fight-Modus oft in Wut, Diskussionen und Streit.

Nach innen gerichtet zeigt sich der fight-Modus in unseren Glaubenssätzen, z.B.: „Ich kann das nicht ansprechen, weil ich souverän und stark sein muss.“, „Ich darf mich damit nicht aufhalten, es gibt Wichtigeres zu tun.“ Oder „Wenn ich meine Sorgen teile, stehe ich dämlich vor den Anderen da.“ Und was bewirken diese Glaubenssätze?

Sie lösen Gedankenkreise aus, der innere Widerstand wächst und die Angst steuert uns „von hinten“. Dazu kommt oft die Angst, nicht mit dem umgehen zu können, was sich dahinter zeigen könnte, wenn wir uns unsere Angst eingestehen. Dass sie nicht verschwindet, wenn wir sie akzeptieren und annehmen – die berüchtigte „ Angst vor der Angst“. Und darunter zu leiden ist nicht schön.

In dieser Situation steigert der Widerstand gegen die Angst meist das Leiden. Die Formel „Leiden = Schmerz x Widerstand“ zeigt, dass wir durch den Widerstand der Glaubenssätze umso mehr leiden. Wir stemmen uns gegen Unvermeidliches, wollen nicht akzeptieren was los ist und verschlimmern damit die Lage. Denn wenn der Widerstand groß ist, halten wir ihn oft für den Schmerz und es fällt uns schwer Schmerz und Leiden noch auseinanderzuhalten. Ein richtiger Teufelskreis.

Face Everything And Rise

Face everything“ hat eine wichtige Voraussetzung. Die innere Bereitschaft, die Angst anzunehmen oder sich ihr wenigstens zu stellen. Mut heißt der Angst ins Gesicht zu sehen. Oft verliert die Angst einen Großteil ihrer Macht, wenn wir sie benennen können und wissen, wovor wir eigentlich Angst haben. So wie Rumpelstilzchen im Märchen „Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß… “. Erst dann gelingt es uns wieder uns zu erinnern: Angst ist eine natürliche Emotion.

Unsere Gedanken und Glaubenssätze sind eben häufig nicht besonders gut darin Angst als das zu erkennen, was sie ist. Unser Körper ist allerdings ein verlässliches Instrument.

„Rise“ heißt an der Angst zu wachsen. Etwas über sich (und andere) zu lernen. Zu entdecken, dass Gefühle in ihrer Intensität abnehmen, wenn wir sie nicht befeuern. Und ein Vertrauen darin zu entwickeln, dass jeder wilde Tango der Emotionen vorüber geht.

„Rise“ heißt auch zu erkennen was uns wichtig ist, was wir brauchen und was andere brauchen. Dadurch entstehen oft neue Ideen, die hilfreicher sind als diejenigen Ideen, die durch Widerstand geboren sind.

Du willst wissen was hinter der „neuronalen Autobahn der Amygdala“ steckt oder lernen besser deinen Körper einzusetzen, um Emotionen wie Angst oder Wut zu erkennen und zu regulieren? Dann interessiert dich vielleicht unser Achtsamkeitsseminar „Mindful Presence“ (https://bit.ly/3lsfs7b) Und psst.: Wir werden in dem Seminar nicht Angst über schlechte Nachrichten zu Covid breittreten. Aber eigene Fälle wie oben, die du einbringst, sind willkommen.